Das Schwurgericht am Landgericht München II will notfalls ohne den mutmaßlichen Dachauer Todesschützen den Mordprozeß zu Ende führen
Am vergangenen Montag war es zu einem recht seltenen Beschluß eines Gerichts gekommen: Das Schwurgericht am Landgericht München II (das für den Raum Dachau zuständig ist) hatte den Beschluß verkündet, notfalls auch ohne den Angeklagten weiter verhandeln zu wollen. Das Landgericht hat seit Montag die Anklage der Staatsanwaltschaft München II gegen einen Dachauer Spediteur wegen der Todesschüsse auf einen jungen Staatsanwalt Anfang des Jahres im Dachauer Amtsgericht zu verhandeln. Wie in den Medien mehrfach berichtet soll der vorbestrafte Mann anläßlich eines weiteren Strafverfahrens gegen ihn vor dem Dachauer Amtsgericht kurz vor Ende des Prozesses eine Schußwaffe gezogen und damit auf den ichter, den Staatsanwalt und seine Verteidigerin geschossen haben. Während es der Richter und die Anwältin gerade noch geschafft haben sollen, sich unter dem Tisch zu verstecken, soll der Angeklagte den jungen Staatsanwalt Turck voll erwischt und getötet haben.
Wegen dieser Geschichte hatte die Staatsanwaltschaft Anklage wegen des Vorwurfes des vollendeten sowie des dreifach versuchten Mordes gegen den Spediteur erhoben. Der Mittfünfziger war seit der Tat in der JVA München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Aufgrund seiner schweren Diabetes-Erkrankung mußten ihm hier beide Beine abgenommen werden. Da er seine Lebensperspektiven angesichts des bevorstehenden Mordprozesses und seiner schweren Krankheit als äußerst ungünstig eingeschätzt haben soll soll er mehrfach geäußert haben, sterben und keinerlei ärztliche Hilfe mehr annehmen zu wollen, was er auch dadurch zum Ausdruck gebracht haben soll, dass er sich an keinerlei ärztliche Vorgaben für seine Ernährung als Diabetiker mehr hielt, sondern gezielt viel Zucker und Fett zu sich nahm.
Als es ihm zum Verhandlungsauftakt am vergangenen Montag dann so schlecht ging, – sein zweites Bein war vor Kurzem erst amputiert worden, – konnte er zur Verhandlung nicht erscheinen. Das Schwurgericht wertete sein Verhalten als absichtlich herbeigeführte Verhandlungsunfähigkeit und verkündete unter Berufung auf die entsprechende Vorschrift der Strafprozessordnung den Beschluß, ohne ihn verhandeln zu wollen, so lange er an der Verhandlung nicht teilnehmen kann. Obwohl in Deutschland der eiserne Grundsatz gilt, dass gegen einen abwesenden Angeklagten nicht verhandelt werden kann, gibt es hier eine Ausnahme: Wenn der Angeklagte zwar verhandlungsunfähig ist, aber nach Eröffnung des Hauptverfahrens und damit auch nach Zulassung der Anklage zur Sache bereits zum Anklagevorwurf angehört worden ist, kann das Gericht seine Anwesenheit als nicht erforderlich ansehen und notfalls auch ohne ihn zu Ende verhandeln. Da der Angeklagte am vegangenen Dienstag aber im Gericht erschienen war hatte sich die Sache vorläufig erledigt, – jedenfalls so lange, wie der Angeklagte verhandlungsfähig ist.