Diskussion zur Beschneidung
Das Urteil des Landgerichts Köln zum Thema Beschneidung hat ein Thema in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, das seit Jahrzehnten ohne jedes Interesse für die Medien und die Öffentlichkeit gewesen war: Die Beschneidung von Jungen durch Juden in den ersten Tagen nach der Geburt bzw. durch muslimische Eltern in den ersten 10 Lebensjahren wurde schlichtweg als Selbstverständlichkeit akzeptiert und von keiner Seite in Zweifel gezogen, auch nicht von ärztlicher Seite oder von Kinderschutzverbänden, erst recht nicht von den Staatsanwaltschaften in Deutschland. Als geltende Rechtslage wurde also angesehen, dass die Eltern eines Jungen einen Arzt in Deutschland aufsuchen und ihn anweisen dürfen, ihren Sohn nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beschneiden. Die Beschneidung wurde zwar schon immer als tatbestandsmäßige Körperverletzung angesehen, die jedoch wegen des Auftrags der Eltern nicht rechtswidrig war und damit straffrei geblieben ist.
Wohl aufgrund der erhöhten Sensibilisierung der Öffentichkeit durch die sehr breite Diskussion in der öffentlichen Meinung im Hinblick auf den Mißbrauch von Kindern, – der in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik ebenfalls zuerst kein großes Thema gewesen war, bis sich Mitte/Ende der Neunziger die öffentliche Meinung stark geändert hat, – ist die Beschneidung von Jungs nun ein ernstes Thema geworden, für das Justiz und Politik jetzt eine von der gesellschaftlichen Mehrheit akzeptierte Lösung finden müssen, die zudem einer Prüfung durch unsere Verfassungsrichter bestehen muß. Die Aufgabenstellung lautet, verfassungsmässige Rechte wie das auf körperliche Unversehrtheit von Kindern mit dem Recht auf freie Religionsausübung jüdischer und muslimischer Glaubensgemeinschaften in Einklang miteinander zu bringen.
Hier sind nämlich für die Politik und die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (und absehbarerweise auch der europäischen Richter mit auf die Menschenrechtskonvention MRK) in den nächsten Jahre die unvereinbar erscheinenden Positionen auszumachen: Dürfen Eltern vor dem Hintergrund der erheblich sensibilisierten Öffentlichkeit im Hinblick auf die Rechte von Kindern und vor allem deren körperliche Unversehrtheit ihren Sohn körperlich bleibend verstümmeln, ohne dass das Kind hierzu eine Einwilligung geben kann, weil es für eine rechtlich tragfähige Entscheidung einfach noch viel zu klein ist? Oder müssen muslimische und jüdische Religionsgemeinschaften mit der Beschneidung so lange zuwarten, bis der Junge alt genug ist, dass der Junge selbst eine Entscheidung über seinen Körper treffen kann, also bis mindestens zu seinem 16. oder gar 18. Lebensjahr. Und dürfen sie dies alleine deshalb tun, weil sie sich selbst (das Kind kann das ja noch gar nicht) dem jüdischen oder muslimischen Glauben zugehörig fühlen? Alleine darum geht es letztlich doch: Nicht die Beschneidung selbst kann und soll von einem Richter oder dem Gesetzgeber verboten werden, – ebensowenig wie Körperpiercings oder Tattoos, – sondern nur zweierlei: Erstens die körperliche Verletzung eines jüdischen oder muslimischen Jungen verbunden mit der Zufügung erheblicher Schmerzen (und immer wieder medizinischen Komplikationen) und zweitens die Entscheidung der Eltern über den Kopf des Kindes hinweg, das aufgrund seines Alters noch nicht einwilligungsfähig ist und dann im Erwachsenenalter vor vollendete Tatsachen gestellt wird, nämlich die Verstümmelung seines Gliedes, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die Rechte des Kindes sind nämlich, – das wird von vielen in der öffentlichen Diskussion zur Zeit ständig übersehen, – nach unserer Verfassung der alleinige Maßstab für die höchste Gerichte und den Bundesgesetzgeber in Berlin, nichts Anderes. Die freie Religionsausübung wird hiervon selbstverständlich nicht im Geringsten in Zweifel gezogen, denn eine Beschränkung der Elternrechte bei der Beschneidung würde letztendlich zu nichts Anderem führen, als zu einer Verschiebung des Beschneidungsaktes auf das Erwachsenenalter der Jungen, der das dann jederzeit im eigenen Auftrag durchführen kann, sobald er zumindest 16 oder besser 18 Jahre alt ist.